Ein Wortwunder
- lynnchristener
- 6. Jan. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Jan. 2023
Welche Wirkung haben Wörter? Sie können ermutigen, versöhnen und Fortschritt bringen. Sie können jedoch auch treffen, verletzen und letztlich Leben kosten. In seinem fesselnden Bestseller «The Book Thief» zeigt Autor Markus Zusak mit einer bewegenden Geschichte, welche Kraft Wörter haben können. Ein Roman, der bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Die letzten 50 Seiten haben mich sogar zu Tränen gerührt. Die Geschichte eines deutschen Mädchens und einem Juden, mitten in Deutschland während des zweiten Weltkriegs.
Handlung
Die neunjährige Waise Liesel Memminger wird von den Hubermanns, einem deutschen Ehepaar in der Nähe von München aufgenommen. Auf der Reise zu ihren Pflegeeltern, verliert sie ihren kleinen Bruder und stiehlt daraufhin ihr erstes Buch. Der Verlust traumatisiert Liesel und verfolgt sie bis in ihre Träume. Doch sie findet schnell einen neuen Freund namens Rudy und baut vor allem zu ihrem Pflegevater Hans grosses Vertrauen auf. Zusammen mit ihrem Papa entdeckt Liesel ihre Liebe für Wörter, während sie stundenlang gemeinsam Bücher lesen. Liesels Leben scheint endlich in geordneten Bahnen zu verlaufen. Bis Max Vandenburg vor der Haustür der Familie Hubermann steht. Ein junger jüdischer Mann, der im Nazideutschland um sein Leben fürchtet und dessen letzte Hoffnung die Hubermanns sind. Sie gewähren ihm Zuflucht in ihrem Keller und riskieren ihr eigenes und Liesels Leben, um ihm zu helfen.
“I have hated the words and I have loved them, and I hope I have made them right.” (Zitat Liesel; Zusak, 2005)
Die Liebe zur Figur
Ein wahrer Leseschmaus. Das Buch zog mich vom ersten Satz bis zum letzten in seinen Bann. Trotz den über 500 Seiten ist es durchgehend unterhaltsam. Gerade wegen der Länge des Buches, lernt man die Charaktere genau kennen und baut eine starke Bindung zu ihnen auf. Sogar den Erzähler lernt man lieben und das will etwas heissen, denn die Geschichte wird vom Tod höchst persönlich erzählt. Eine sehr spezielle Perspektive für die Lesenden. Der Tod ist, wie auch alle anderen Charaktere im Buch, sehr authentisch und unperfekt. Entgegen unseren Vorurteilen ihm gegenüber erscheint er sehr liebenswürdig und menschlich.
“Five hundred souls. I carried them in my fingers, like suitcases. Or I’d throw them over my shoulder. It was only the children I carried in my arms.”
(Zitat des Todes; Zusak, 2005)
Die Lesenden erfahren im Verlauf der Geschichte viel über die Gedanken und Gefühle der Personen und können ihre Handlungen immer nachvollziehen und verstehen. Zusak hat es geschafft, dem Lesenden das Gefühl zu geben, die Figuren persönlich zu kennen. Dementsprechend fiebert man Seite für Seite mit und hofft nur das Beste für sie. Im Verlauf des Buches bekommen die Lesenden Einblick in die verschiedensten Schicksale der Bewohner der Himmelstrasse. Als Allwissender Erzähler klärt uns der Tod über die Vergangenheit der Anwohner auf, wodurch man die Beziehungen zwischen den Nachbarn als Leser*in besser versteht. In der Himmelstrasse prallen nämlich unterschiedliche Ideologien und Weltansichten aufeinander.
Das Buch ist zwar sehr unterhaltsam, jedoch auf keinen Fall leichte Kost. Schonungslos ehrlich spricht der Erzähler über die Gräueltaten, die in Nazi Deutschland stattfanden und nicht selten läuft einem beim Lesen ein Schauer über den Rücken. Auf der einen Seite steht die kindlich unschuldige Sicht Liesels, auf der anderen die abgeklärte erwachsene des Todes. Und mittendrin der/die Lesende, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und unvorstellbaren Tatsachen. Ich habe mich während dem Lesen immer wieder über das Geschilderte erschrocken, obwohl ich über diesen dunklen Teil der deutschen Geschichte Bescheid wusste.
Die Sprache ist einfach und doch sehr tiefgründig. Sie erweckt in den Lesenden schöne wie auch schlimme Bilder. Zusak arbeitet das Thema der Judenverfolgung und das des Krieges in sehr poetischer Art und Weise auf. Bildhafte Vergleiche und Metaphern helfen den Lesenden, die unfassbaren Ereignisse zu verstehen, oder mindestens nachzuvollziehen. Ein weiteres Stilmittel, welches man nicht selten antrifft in diesem Buch sind Vorahnungen. Manchmal kommen diese sogar einem Spoiler ziemlich nahe. Doch trotz oder gerade wegen dieser Hinweise, entsteht ein unglaublicher Spannungsbogen und die Lesenden werden zum Weiterlesen animiert.
Ein wahres Wortwunder, was Zusak da vollbracht hat. Die ausgereiften, vielschichtigen Figuren, die berührende Geschichte eines jungen Mädchens und der unglaublich philosophische Umgang mit Sprache, machen dieses Buch zu einem Kunstwerk. Auch wenn über 500 Seiten wohl viele Lesende abschrecken, lohnt es sich, jede dieser Seiten zu lesen. Achtung: Wer einmal anfängt, kann nicht mehr aufhören! Ich empfehle das Buch allen weiter, die eine mitreissende und zugleich unfassbar tragische Geschichte lesen möchten, welche das Herz berührt und eine ganz neue Sicht auf das Leben, den Tod und die Kraft der Worte eröffnet.
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